Top 7: Vampirromane und -reihen

18. Mai 2016 7 Von FragmentAnsichten

Top-Listen sind doof. Sie werden unter dem Zwang erstellt, eine bestimmte Anzahl zu erreichen, fangen dadurch an, entweder zu schwallen oder viel zu stark zu verkürzen, beanspruchen dennoch Allgemeingültigkeit und werden für gewöhnlich auch noch unter Zeitdruck erstellt (ebenso wie Schrittanleitungen). Trotzdem lese ich sie mir aus irgendeinem Grund gerne durch und meckere hinterher ebenso gerne rum: Was, das sollen die Top 100 der besten Fantasyromane sein? Welcher Ethnozentriker hat das denn verzapft?

Das Top-Dilemma

Man kann meine Einstellung zu Top-Listen also als recht zwiespältig bezeichnen. Das ist auch der Grund, weshalb ich schon seit Monaten mit mir ringe, eine Kategorie dieser Art aufzumachen (nicht, dass ich etwas in der Richtung noch nie gemacht hätte). Einerseits genügt das irgendwie nicht meinen qualitativen Ansprüchen – ich schreibe lieber anspruchsvolle E-Blogposts wie diesen hier. Andererseits machen sie Spaß und bieten eine Möglichkeit, Buchempfehlungen (bzw. das Gegenteil) auszusprechen, ohne gleich eine ganze Rezension schreiben zu müssen.*

Also habe ich mich vor ein paar Wochen überwunden und begonnen, eine Top 7-Liste zu einem Thema zu erstellen, das ich dann doof fand. Gelungen waren einzig meine Schärmerei für „Blutrote Schwestern“ und die Bildersuche bei Pixabay. Es kam, wie es kommen musste: Der Post lagert unveröffentlicht im Archiv und harrt seinem Schicksal.

Dracula feiert Geburtstag

Die Grundidee ist trotzdem noch aktuell und da heute vor 119 Jahren Bram Stokers „Dracula“ veröffentlicht wurde, ist das ein guter Zeitpunkt, meine Top 7 der Vampirromane vorzustellen. Ich denke, das passt ganz gut. Vampirromane sind ja auch so eine zwiespältige Sache. Ich mochte es anfangs gar nicht, wenn „Vor meiner Ewigkeit“ als solcher bezeichnet wurde. Erstens war keine der Hauptfiguren ein Vampir, zweitens klang es in Verbindung mit meinem Namen nach Romantasy und drittens war die Verbindung Frau-schreibt-Vampirroman ohnehin zu diesem Zeitpunkt ein Garant dafür, den Großteil der eigentlich anvisierten Leserschaft in die Flucht zu schlagen.

Aber nur wegen der Romantasy-Welle – die ja auch ihre Daseinsberechtigung hat – dürfen wir nicht anfangen, Vampire zu diskriminieren. Ich weiß, es ist anstengend mit ihnen. Entweder kreuchen sie nur depressiv in der Ecke herum oder sie wollen einem ans Blut (manchmal auch beides). Trotzdem lässt sich mit ihnen prima arbeiten, wenn man weiß, wie – und einige Autoren wissen das.

Deshalb und weil „Dracula“ veröffentlicht wurde und weil ich Lust dazu habe, hier nun meine Top 7 der besten Vampirromane, die ich gelesen habe bzw. der besten Vampirromane, die mir gerade einfallen. Erstellt fast ohne Zeitdruck und ohne Allgemeingültigkeitsanspruch. Trotzdem mit dem Zwang, eine bestimmte Anzahl zu erreichen, weil Top 7 einfach besser klingt als Top 6 (sorry 6, ich mag dich trotzdem!). Die Frage, was denn nun eigentlich einen Vampirroman ausmacht (1 Vampir? 2 Vampire? Prota-Vampir?) klammere ich lieber aus.

Mit diesen Beißern lohnen sich die Lesestunden!

    1. Bildgewordene Melodien: „A Midnight Opera“ von Hans Steinbach

      Ja ja, „A Midnight Opera“ ist kein Roman, sondern eine Manga-Trilogie. Wurscht. Ich nenne sie hier trotzdem, weil es eine verdammt gute Manga-Trilogie und die Hauptfigur ein Vampir ist. Passt also.

      Ich habe die Bücher schon einmal auf dem alten Blog in einem Artikel über unvollendete Reihen vorgestellt. Denn das ist der Haken an der Sache: Über drei Bände wohnen wir der problematischen Beziehung zwischen Metal-Vampir Ein und dessen Werwolf-Bruder Leroux bei, die sich auch im 21. Jahrhundert noch mit der Inquisition herumschlagen müssen. Genial, wie dabei die für Manga untypischen, dynamischen Bilder mit dargestellter Melodie und den Lyrics von Eins Liedern verschmelzen. Faszinierend, wie die Beziehungen der Figuren untereinander an Facetten gewinnen. Enttäuschend, wie in Band 3 erst scheinbar alle offenen Fragen geklärt werden und dann auf der letzten Seite doch noch ein fieser Cliffhanger auftaucht. Im Anschluss verspricht der deutsch-syrische Steinbach dem angefixten Leser viele weitere Bände. Geschehen ist seit neun Jahren nichts. Zielgruppen-Probleme, fürchte ich, da „A Midnight Opera“ für einen Tokyopop-Manga eben schon sehr speziell geraten ist.

      Wenn man die letzte Seite ignoriert, ist das Ende verkraftbar. Dann hat man eine schöne, runde und experimentelle Trilogie, die eigentlich auch nicht den Anschein macht, mehr sein zu wollen. Schade ist es trotzdem. Ich hätte gerne mehr von Ein und Leroux gelesen.

    2. Puzzlen für Phantasten: „Fairwater oder Die Spiegel des Herrn Bartholomew“ von Oliver Plaschka

      Ich mag Puzzles. Zugegbenermaßen nicht so sehr die, in denen jedes Teil gleich aussieht, aber solange es abwechslungsreich bleibt, mit vielen Details und einem ansprechenden Motiv, kann ich mich damit für gewöhnlich anfreunden. Manchmal bleiben am Ende ein paar Teile übrig, bei denen ich nicht weiß, wo sie hingehören, und die dem Ganzen noch mal einen hübschen Mindfuck verpassen.

      „Fairwater“ ist ein ebensolches Puzzle. Ich musste das Buch dreimal lesen, um alle Teile an die richtigen Stellen setzen zu können und am Ende gab es trotzdem noch ein paar, bei denen ich mir nicht sicher war, ob ich sie nicht vertauscht hatte. Gefällt mir, weil es einem mehr Möglichkeiten eröffnet als ein Buch, das einem alle Antworten auf dem Silbertablett liefert. So bleibt es dem Leser auch überlassen, inwiefern er die Geschichte als eine mit Vampiren begreift (by the way: dasselbe gilt für „Das Licht hinter den Wolken“).

      „Fairwater“ ist kein Buch für eine Nacht, aber eines, das seine Leser nicht zur Passivität verdammt. Inzwischen ist es auch in einer stilistisch überarbeiteten Fassung erhältlich, aber ich mag irgendwie den überladenen Stil des „Originals“.

    3. Mehr als Menschen mit Reißzähnen: „Die Königin der Verdammten“ von Anne Rice

      Anne Rice ist ja so etwas wie die Mutter des modernen Vampirromans – zu recht. Sie hat die Beißer aus ihrer Schmuddelecke gelockt, ihnen ordentliche Klamotten angezogen und sie zu den melancholischen Bohèmes gemacht, als die sie bis heute gerne genutzt werden.

      Trotzdem gibt es wenige Autoren, deren Bücher von der Qualität her so schwanken wie ihre. Selbst innerhalb eines Buchs bietet sie alles von krassem Kopfkino bis zu gähnender Langeweile. „Der Fürst der Finsternis“? Riiiichtig guter Anfang, aber dann fängt’s an, sich zu ziehen. „Armand der Vampir“? Ich weiß nicht, ob ich jemals eine so stimmungsvolle Verflechtung von Figuren und Setting erlebt habe. Leider kann der Roman das nicht über seine gesamte Länge aufrechterhalten.

      „Die Königin der Verdammten“ schafft es dagegen, Spannung und Atmosphäre konstant hochzuhalten. Das ist vielleicht den vielen Vampirfiguren zu verdanken, die alle für sich genommen ihre kleinen Geschichten zu erzählen haben und es schaffen, tatsächlich als mehr zu erscheinen denn als Menschen mit ungewöhnlichen Nahrungsvorlieben. Darüber hinaus gelingt es auch „Königin der Verdammten“ Musik glaubhaft durch Text zu transportieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier nicht eine Inspiration für Steinbach gelegen hat – zu sehr erscheint Ein als Flodder-Variante des zerrissenen, aber auch recht dekadenten Lestat.

    4. Verdammte Kapitalisten: „Das fünfte Imperium“ von Viktor Pelewin

      Wenn Zeitungen wie die Süddeutsche oder die FAZ einen Vampirroman besprechen, muss schon ein Name wie Viktor Pelewin draufstehen. Natürlich wird das Buch dann nicht als Fantasy bezeichnet, sondern als Bildungsroman oder, wenn es ganz hart kommt, vielleicht auch mal als „frivoles Märchen“. Es sei gestattet, denn Pelewin hält sich wirklich nicht mit Genrekonventionen auf, wenngleich er sie hier und da nutzt, um sein Werk dem Leser zugänglicher zu machen. In erster Linie sind seine Vampiren jedoch mehr Metapher denn Figur, und „Das fünfte Imperium“ eine Abhandlung über den Kapitalismus, das Internet, Identität und natürlich den DISKURS. Das ist faszinierend, schwarzhumorig, postmodern – und manchmal zu viel des Guten, vor allem für den westlichen Leser, der hier und da erst einmal eine Einführung in die Eigenheiten der russischen Gesellschaft bräuchte. So oder so ebenso wie „Fairwater“ kein Roman für eine Nacht und auch keiner, der sich einem nach einmaligem Lesen schon in all seiner Pracht präsentiert.

    5. Hardcore-Vampirellas: „Kinder des Judas“ von Markus Heitz

      Nachdem ich „Die Zwerge“ zu lesen versucht hatte, war ich der Ansicht, dass das nichts wird zwischen Markus Heitz und mir. Aber dann war ich zu Besuch bei meiner Schwester und vor mir lag „Kinder des Judas“, damals noch mit diesem „ab 16 Jahren“-PR-Button. Ich habe die erste Seite gelesen und es ist eine sehr schöne erste Seite, die von einer mysteriösen Erzählerin bis zu einer Dosis Todesfaszination alles aufweist, was man von einem soliden Vampirroman erwartet. Daran schließt sich eine unterhaltsame Geschichte an, die mit ihrer Reise durch die Jahrhunderte in Sachen Atmosphäre teilweise durchaus mit „Armand der Vampir“ mithalten kann. Auch der volkstümliche Blick auf verschiedene Vampirarten hilft dem Buch positiv herauszustechen, sorgt im letzten Drittel jedoch ebenso wie die obligatorische Liebesgeschichte für eine Überladung, die Spannung und Atmosphäre abflachen lässt.

      Leider können die Fortsetzungen die Qualität des ersten Bandes nicht beibehalten. Während „Judastöchter“ dank des Crossovers mit anderen Bänden des „Pakts der Dunkelheit“ noch neue Impulse und einen soliden Abschluss bietet, ist „Judassohn“ bis kurz vor Ende extrem langatmig. Lichtblicke bieten hier nur die schräge Liebesgeschichte zwischen Sandrine und Anjanka sowie Tonjas  Auftritte.

    6. Vampir-Buddys im Wandel der Zeiten: „Die Chronik der Unsterblichen“ von Wolfgang Hohlbein

      Nach Anne Rices „Vampirchroniken“ und „Pakt der Dunkelheit / Kinder des Judas“ die dritte Reihe, auf die ich durch eine meiner Schwestern aufmerksam geworden bin (interfamiliäre Phantastik-Freundlichkeit ist äußerst praktisch). Dieses Mal lag der erste Doppelband im Bad herum und nach den ersten Seiten kam es mir erst einmal wie ein Abklatsch der „Vampirchroniken“ vor. In einer Hinsicht habe ich mich damals geirrt: Inhaltlich geht das Buch in eine ganz andere Richtung. In anderer Hinsicht hatte ich recht: Auch „Die Chronik der Unsterblichen“ zeigt ein bemerkenswertes Talent dafür, qualitativ sehr zu schwanken. Während die ersten Bände noch unterhaltsame Durchschnittsware mit vagem Historik-Flair liefern, stellen viele der späteren Teile eher ein anstrengendes Abarbeiten des Phrasen-Einmaleins dar („Etwas fühlte sich falsch an.“ „Er spürte, wie der Vampyr an seinen Ketten zerrte.“), bei dem die ständig wechselnden Schauplätze bestenfalls die Funktion von Theaterfassaden erfüllen.

      Nun klingt das nicht gerade nach einer empfehlenswerten Buchreihe. Dass sie trotzdem an dieser Stelle auftaucht, ist vor allem dem Gespann Abu Dun und Andrej zu verdanken, dem besten Vampir-Buddy-Duo, das mir bisher untergekommen ist. Nach zehn Bänden habe ich trotzdem einen Schlusstrich gezogen. Wenn eine Reihe glaubt, sich nur noch neue Impulse entlocken zu können, indem sie auf die ewig gleiche Art neue Nebenhandlungen aufwirft ohne sich um eine Auflösung der alten zu kümmern, ist es an der Zeit, sie zu beenden.

    7. „Harry Potter“ mit tragischen Vampiren: „Mitternachtszirkus“ von Darren Shan

      Ah, der undankbare siebte Platz. Ich habe lange herum überlegt, was ich hier nennen soll. Die ersten „Necroscope“-Bände, die sich dem Vampir-Thema in guter alter Horror-Tradition annähern? Dean R. Koontz‘ „Vision“, den gruseligsten Vampirroman, der mir je untergekommen ist? Matt Haigs Familiendrama-Satire „Die Radleys“? Das Buch zu „Wir sind die Nacht“, das dem Film (leider) eine Nebenhandlung hinzugefügt hat? Oder doch „City of Bones“? Die Wahl ist stattdessen auf die zwölfbändige Jugendreihe „Mitternachtszirkus“ gefallen.

      Wenig überraschend bin ich auf die Bücher durch ihre … nicht so gelungene Verfilmung aufmerksam geworden, mit der vergeblich versucht wurde, den Vampir-Hype auf eine humorvolle Ebene zu bringen. Die Buchvorlage rund um das tragisch verlaufende Leben des Halbvampirs Darren Shan und den Kampf zwischen Vampiren und Vampyren (…) ist insgesamt weitaus ernster und für eine Jugendreihe überraschend blutig.** Sie wird häufig als eine Art „Harry Potter“ mit Vampiren bezeichnet, was in mehrfacher Hinsicht durchaus passend ist: Shans Schreibstil ist ähnlich eingängig wie der Rowlings, die Parallelgesellschaft der Vampi/yre wirkt glaubwürdig genug, um über alle Bände getragen werden zu können, der Protagonist darf sich mit seinem prophetischen Schicksal herumschlagen (im Falle von Darran ist das durchaus wörtlich zu nehmen) und die Handlung überrascht mit unvorhergesehenen Wendungen. Allerdings ist „Mitternachtszirkus“ ungleich düsterer – wie es sich für Vampire eben gehört.

So viel also zu meinen Top 7 der Vampirromane und -reihen. Wenn ihr jetzt denkt „Das sollen die sieben besten Vampirbücher sein? Wie eingeschränkt ist der ihre Sicht denn?“ freue ich mich über Alternativlisten in den Kommentaren 🙂 .


* Wie der Stammleser weiß, habe ich früher sehr gerne Rezensionen geschrieben. Inzwischen nicht mehr so, weil kollegiale Verwicklungen / Ansprüche / Rezensenten-Verleger-Verhältnis / stört Lesefreude etc. pp. Ich hab mal einen ausführlichen Blogartikel dazu veröffentlicht, aber das war noch zu den Zeiten von Dew Linae bzw. meiner alten Festplatte, die ich bisher noch nicht wiederherstellen konnte. Äußerst ärgerlich, aber ein guter Grund, noch einmal etwas dazu zu schreiben. Wobei ich auch hier im Zweispalt mit mir stehe: Einerseits veröffentliche ich Rezensionen nicht mehr so gerne, weil kollegiale Verwicklungen / Ansprüche / Rezensenten-Verleger-Autoren-Verhältnis / stört Lesefreude etc. pp. Andererseits gibt es viele Bücher, die einer Vorstellung wert wären. Dilemma.

** Bei der Beschreibung des blutigen Handwerks von Vampiren, Dämonen und Co. nicht zimperlich vorzugehen, ist ohnehin ein Markenszeichen Darran Shans: Im Vergleich zu einigen Bänden des im gleichen Universum angesiedelten „Dämonicons“ ist „Mitternachtszirkus“ noch sehr zahm. Das kann man bewerten, wie man will – mir ist es für eine Jugendreihe oft zu viel des Bluts, so sehr ich die ersten „Dämonicon“-Bücher sonst auch schätze.