Februaransichten 2016

1. März 2016 4 Von FragmentAnsichten

Hallo zusammen,

Zeit für die Februaransichten. Ist zwar schon März, aber gestern war der Weg zum Publizieren-Button nach der Oscarnacht doch recht weit und wir sind ja alle flexibel. Manchmal zumindest. So here we go.

Awards, Awards

Nicht nur die Filmwelt haut im Februar den einen oder anderen Award raus, auch die phantastische Literatur kommt kaum hinterher mit Verleihung und Nominierung diverser Auszeichnungen. So wurden die diesjährigen Nebula-Nominierungen* ebenso bekannt gegeben wie die Shortlist des BSFA-Awards und die Longlist der Carnegie Medaille. Bei letzterer wurde in den Medien vor allem hervorgehoben, dass sich auch Terry Pratchetts posthum erschienener Roman Die Krone des Schäfers darauf findet. Ohne die anderen nominierten Werke zu kennen – verdient hätte das Buch es. Ich halte die Tiffany-Bücher ohnehin mit für die besten, die Pratchett geschrieben hat und mit seiner leisen Melancholie stellt Die Krone des Schäfers nicht nur einen würdigen Abschluss der scheibweltschen YA/Coming of Age-Reihe, sondern auch von Pratchetts Opus als Ganzem dar. Es wäre übrigens das zweite Mal, dass Pratchett die Medaille erhält – 2001 bekam er sie bereits für Maurice der Kater und hielt dazu eine denkwürdige Rede.

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Erneute Carnegie-Medaille für Terry Pratchett?
(Foto von Robin Zebrowski CC BY 2.0)

Retro-Einhörner

Abgesehen von Die Krone des Schäfers habe ich noch von keinem der nominierten (Literatur-)Werke viel gehört, geschweige denn etwas davon gelesen. Ist aber nicht sonderlich verwunderlich, da ich dazu neige, Bücher erst zu lesen, wenn sie ein paar Jährchen gereift sind. Was wohl neben ihrer Qualität auch einer der Gründe ist, weshalb ich bei Fantasy-Empfehlungen immer noch meistens die Vandarei-Bücher von Joy Chant nenne, insbesondere Der Mond der Brennenden Bäume und Wenn Voiha erwacht. Ersteres hat nun auch seinen Weg auf Sören Heims Lesestapel gefunden, der das Werk recht wohlwollend betrachtet, aber auch (stellenweise berechtigte) Worte der Kritik findet. Mehr wundert mich, dass Heim Der Mond der Brennenden Bäume als Jugendbuch sieht. Ja, auch hier findet sich diese ganze Coming of Age- und Selbstfindungsthematik, aber sie wird doch eher postmodern und nicht als Zeichen von Jugend im demographischen Sinne verstanden. Wäre es ein Indepentenfilm, würden wir vielleicht von einem Twentysomething-Entwicklungsroman sprechen. Wie man das Buch nun auch einordnen mag – es bleibt jedenfalls bei der Empfehlung dafür.

Lücken entzücken (außer manchmal)

Während Heim Chant vorwirft, ihre Welt nicht besonders auszuarbeiten, trifft der gegenteilige Vorwurf dieser Tage Joanne K. Rowlings Welt der Hexen und Zauberer. Dank Pottermore, dem Theaterstück Harry Potter and the Cursed Child und dem Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind-Kinofilm bauscht sich die Harry Potter-Welt immer mehr auf. Lücken werden gefüllt, offene Fragen detailreicher beantwortet, als es sich die Fans je hätten träumen lassen. Damit werden aber auch die Widersprüche und logischen Probleme der Zauberer-Parallelwelt immer deutlicher. Schon bei den sieben Romanen fragte sich manch einer, wie die Zauberer überhaupt durchs Leben kommen, wenn sie nicht einmal Prozentrechnung lernen. Oder wieso sich das Ausland nicht die Bohne darum zu scheren scheint, wenn Teile Großbritanniens dank Voldemort vor die Hunde gehen. Und wie kann es überhaupt sein, dass Europa offenbar nur drei große Zauberschulen beherbergt, wenn kaum ausländische Schüler nach Hogwarts gehen?

Man nimmt solche Unstimmigkeiten in Kauf, wenn die Stimmigkeit der Atmosphäre überwiegt. Aber je größer und gobaler eine Fantasywelt wird, desto mehr muss sie sich auch mit ihren eigenen Problemen beschäftigen und Lücken stopfen, von denen sich die Leser manchmal wünschen, man hätte sie einfach ihrer Fantasie überlassen. Bücher leben oft nicht nur von dem, was gesagt wird, sondern vielmehr von dem, was nicht gesagt wird. Wenn Rowling immer wieder in ihre geliebte und gnadenlos erfolgreiche Welt zurückkehrt, kann man ihr das zwar kaum vorwerfen (ich würde es jedenfalls genauso machen). Welche Probleme das aber konkret mit sich bringen kann, wird auf Weltenbau Wissen erläutert.

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Wie viele Details braucht Harry Potter noch?

Sprachlich alles horrorshow

Dafür gehört Harry Potter allerdings auch zu den Reihen, die den globalen Wortschatz erweitert haben. Schließlich braucht man nicht mehr unbedingt ein Leser zu sein, um sich unter „Muggel“ was vorstellen zu können. Gut, vom sprachlichen Einfluss von Uhrwerk Orange sind wir damit noch weit entfernt, aber immerhin. Welche Funktionen solche Begriffe in der phantastischen Literatur erfüllen und wie hier Fremdes mit Bekanntem vermischt wird, um eine besondere Authentizität zu schaffen – diesen Fragen widmet sich Jens-Michael Volckmann in einem Blogbeitrag.

Drüben in der anderen Welt

Auch die hegemonialeren Medien haben im letzten Monat vages Interesse an der Phantastik gezeigt – zumindest das sponsche Jugendportal Bento. Dort konnte man sein Wissen in Sachen YA-Fantasy testen** und einmal mehr Zeuge werden, dass bei Stephenie Meyers Werken keine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Buch notwendig ist – Twilight-Bashing klappt immer, selbst, wenn es eigentlich um Seelen geht. Außerdem zeigten sich die Bentoianer überrascht über einen 61-jährigen Cosplayer.***

Und damit entlasse ich euch in den März. Es ruft die Buchmesse Leipzig. Ich folge dieses Jahr wohl nicht, ihr vielleicht schon.

* Jemand eine Ahnung, was der Unterschied zwischen Novella und Novelette ist?
** 10 von 17 richtig. Läuft.
*** Vielleicht fühle ich mich doch nicht zu alt fürs Cosplay