„Verfallen 1“ und der erneute Versuch einer Annäherung an ASP
Folgt man gängigen Klischees, sind Musik und Literatur offenbar zwei voneinander abgregrenzte Bereiche, die in verschiedenen kreativen Universen zu Hause sind. Das eine verspricht Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Das andere eher Messen, Tee und schwarze Rollkragenpullis (in den ganz harten Fällen vielleicht noch Rotwein).
Wenn der Musiker mit dem Literaten …
Die Realität sieht natürlich ganz anders aus. Duh! Gerade in der Phantastik sind Musik und Literatur traditionell eng verwoben. Wie eng, das habe ich bereits in mehreren Artikeln ausgeführt, beispielsweise in der Film und Buch 10 oder in meinem Blogpost über Metal und Phantastik. Von Blind Guardian über Die Toten Hosen und Hawkwind bis hin zu Musicals wie Wicked oder Jekyll & Hyde behandeln viele Musiker in ihren Werken Stoffe aus der phantastischen Literatur. Und dass es auch anders herum geht, beweisen beispielsweise die Storybook-Anthologien zu Liedern von Subway to Sally.
Auch die direkte Verflechtung beider Medien stellt keine Seltenheit mehr dar. Auf der Buch Berlin habe ich mich beispielsweise mit einer Selfpublisherin unterhalten, die zu ihrem Buch Terra Aluvis nicht nur Illustrationen, sondern gleich auch noch einen Soundtrack kreiert hat. Einen ähnlich multimedialen Weg geht die QR-Edition von p.machinery.
Zudem nehmen die Kooperationen zwischen Musikern und Autoren gerade im deutschsprachigen Raum zu. Wolfgang Hohlbein hat mit Bands wie Vanden Plas und Manowar zusammengearbeitet, Markus Heitz u. a. mit Qntal und Musikern von Corvus Corax. Die Stoßrichtung geht dabei eindeutig zur erneuten Verbindung von Phantastik und Rock, Metal, Gothic oder Mittelalter-Kram. Überraschend ist das nicht – beides bedient mehr oder weniger dieselben Zielgruppen, die Szenen sind eng miteinander verwoben. Tanzwut und Xandria spielen auf der RPC, Christian von Aster liest auf dem Amphi-Festival, WerkZeugs fühlen sich auf dem M’era Luna wohl.
Doch noch verfallen?
Die aktuellste Kooperation kommt von Kai Meyer und ASP, deren Freundschaft auch bisher kein großes Geheimnis war. Das neue Konzeptalbum von ASP, Verfallen – Folge 1: Astoria, bezieht sich inhaltlich auf eine Geschichte von Kai Meyer. In der Limited Novel Edition des Albums werden dem Interessierten nicht nur das Album selbst nebst Bonus-CD, sondern auch Artwork von Joachim Luetke und besagte (zuvor unveröffentlichte) Kurzgeschichte von Kai Meyer namens Das Fleisch der Vielen zugänglich gemacht.
Dieser Artikel sollte einmal eine Besprechung zu diesem Projekt werden, da mir unverhofft (bzw. unverlangt) ein Rezensionsexemplar in die Hände geflattert ist.* Es gibt nur ein Problem an der Sache: Ich kann mit ASPs Musik wenig anfangen.
Wenn man sich auch nur am Rande der Gothic-Szene bewegt, kommt man mit der Musik der Band zwangsläufig früher oder später in Kontakt. Einer meiner besten Freunde hat sich auch Mitte der 2000er große Mühe gebeben, mich von ASP zu überzeugen. Aber … nun, es hat nicht funktioniert. Die Lyrics waren zuweilen nett, aber ihre Aussage, der Gesang und auch das Instrumental haben mich nicht erreicht. Ich habe mich daher nie näher mit der Band beschäftigt.
ASP auf dem Blackfield-Festival 2014 (Foto von S. Bollmann, CC BY-SA 3.0)
Das Unbehagen an der Kritik
Da mir Verfallen 1 nun aber in die Hände fiel und so schön stylisch aussah, habe ich dem Album eine Chance gegeben. Ich könnte nun schreiben, dass ich es mir mehrmals angehört habe und beim ein oder anderen Lied positiv überrascht war vom Instrumental (z. B. gleich bei Himmel und Hölle, einem zweifellos gelungenen Einstieg). Ich könnte schreiben, dass ich vom Gesang dennoch befremdet blieb und die Texte trotz der gelungenen atmosphärischen Entwicklung von Hoffnung und Neugier hin zur Ernüchterung eher mittelmäßig fand.
Aber das fühlt sich für mich nach leerer Kritik an. Es ist wie bei den Rezensionen zu Vor meiner Ewigkeit, deren Prämisse (überspitzt gesagt) in etwa so lautet: „Das ist nicht die Art von Fantasy, die ich gerne lese. Es kommen keine Elfen vor.“ Es ist okay so, aber es lässt sich wenig damit anfangen. Ich habe mich nicht mit ASP beschäftigt, ich kenne nichts anderes von ihnen, ich kenne mich nicht mal mit ihrem Genre aus.** Mit anderen Worten: Ich bin nicht die Zielgruppe, es muss mir nicht gefallen und ich kann dieses Nicht-Gefallen nicht mal richtig begründen.
Lernen sie denn nie dazu?
Also wende ich mich dem Teil des Ganzen zu, für dessen Kommentierung ich mich deutlich qualifizierter fühle: Kai Meyers Kurzgeschichte Das Fleisch der Vielen, deren Lektüre ich für den Anfang empfehle. Dann geben nicht nur die Lieder, sondern auch die Fotos mehr Sinn. Wir werden hier Zeuge, wie sich zwei linke Aktivisten auf der Flucht vor Neonazis im verfallenen Leipziger Hotel Astoria verirren – und dabei herausfinden, weshalb das Ding so gut abgeriegelt ist. Eine fiese kleine Horrorstory, die zeigt, was Phantasmen hätte sein können, wenn es kein Jugendbuch gewesen wäre. Man will nach den ersten Seiten eigentlich gar nicht mehr so genau wissen, welche Geheimnisse das Astoria verbirgt – viel zu gruselig –, aber Aufhören mit Lesen ist nicht. Am Ende bleiben ein Schaudern und die Frage, warum die Figuren aus Horror-Geschichten nicht endlich dazu lernen und zusammenbleiben, anstatt sich dem Grauen einzeln zu stellen.
So viel dazu. Nun geht es zurück zum Tee. Ohne schwarzen Rollkragenpullis.
ASP
Verfallen Folge 1:Astoria
Limited Novel Edition
Trisol Music Group
ASIN: B0143R4IGM
* Auch nach 12 Jahren des Rezensierens weiß ich nicht, wie man mit sowas umgehen soll. Ignorieren? Zurückschicken? Solange ich es interessant und die Zeit finde, versuche ich es zu besprechen.
** Some kind of Liedermacher-Sprechrock mit Schwarzromantik-Feeling. Sie selbst bezeichnen es als „Gothic Novel Rock“. Stellenweise erinnert es an 69 eyes in abgespeckt.
[Text unter CC BY-ND 3.0 DE]
[…] Eingehender habe ich die Geschichte hier besprochen. […]