Augustansichten 2015

31. August 2015 1 Von FragmentAnsichten

Sieht man sich derzeit in den Netzwerken und Kanälen der Phantastikszene um, trifft man auf viel Solidarität und Hilfsbereitschaft den Flüchtlingen gegenüber. Ich weiß, dass viele Sachen spenden, Deutschkurse geben oder sich anderweitig engagieren – Hut ab davor.
Leider kann man aber auch viele Kommentare finden, die in eine ganz andere Richtung gehen. Seit den Pegida-Diskussionen zu Anfang des Jahres, in denen die Unzulänglichkeiten einiger Medien als nervtötende Dauerentschuldigung für die eigene Engstirnigkeit und Naivität gebraucht wurden, überrascht das leider nicht mal richtig.
Erbärmlich ist es trotzdem.
Als Ganzes betrachtet, haben wir es mit einer extrem komplexen Thematik zu tun, für die es nicht die eine, richtige Lösung geben kann. Das als Begründung für den eigenen Mangel an sozialem Gewissen, humanitärem Bewusstsein oder schlicht Empathie zu nehmen, offenbart jedoh eine erschreckende Unfähigkeit zum Blick über den eigenen Tellerrand. Ziemlich peinlich, dass dieselben Leute, die in Foren und Social Networks die Taten irgendwelcher Fantasyhelden preisen, nicht bereit sind, die nun wirklich nicht komplexe Ethik hinter einigen der Werke ein bisschen in ihren Alltag und ihr Denken mitzunehmen. Die phantastische Literatur, gerade die ganz klassische, steckt voller Helden, die vor Regimen, Katastrophen, Kriegen flüchten. Hier sind die Rollen klar verteilt, die Empörung groß, wenn die Flüchtlinge wegen ihrer Herkunft oder auch aus wirtschaftlichen Gründen keinen Ort finden, an dem sie bleiben dürfen. Kaum werden aus feindlichen Kriegern Soldaten, aus Drachenfeuer ein Bombenregen und aus einem Unrechtregime eines, das bestimmte Ethnien oder Bevölkerungsgruppen verfolgt, sind manche offenbar nicht mehr in der Lage, wenigstens eine Empathie zu empfinden, die sie irgendwelchen Buchfiguren entgegenbringen.
Einige werden diesen Vergleich albern finden. Ich finde es vor allem albern, das Gefühl zu haben, diesen Vergleich ziehen zu müssen.

Bedingt durch dieses und andere Themen, habe ich in diesem Monat nicht allzu stark verfolgt, was sich artikelmäßig in der Szene getan hat. Ich weiß, dass Anfang August ein paar Artikel herumgereicht wurden, die ich aber teilweise wieder aus den Augen verloren habe.

Nicht so „Eine Lanze für die Drachen“ von Philippe Zweifel, erschienen in der Basler Zeitung. In den letzten Jahren haben sich zwar immer mal wieder Journalisten großer Tageszeitungen gefunden, die versucht haben, die Fantasy aus der Ecke mit den Eskapismus-Vorurteilen herauszuziehen. Nur leider haben nicht wenige von ihnen in ihren Lobhudeleien wieder viele Klischees bestätigt. Zweifel dagegen ist ein durchaus differenzierter Artikel gelungen, in dem auch mal die verschiedenen Facetten des Genres herausgestellt werden, was leider viel zu selten geschieht. Um den Artikel auf seine Kernbotschaft zu bringen:

„Zwar stösst man wie in jedem kulturellen Sub-Genre, sei es Rock oder die moderne Kunst, auf viel Durchschnittliches und Mieses. Aber die Kommerzialisierung der Fantasy-Bestseller mit unnötigen Fortsetzungen und nervigen Franchising-Artikeln täuscht über die Perlen des Genres hinweg.“

Amen.
Übrigens finde ich es bemerkenswert, dass Ishiguro auch Phantastik schreibt. „The Remains of the Day“ hat zu meinen liebsten Schullektüren gehört, aber den Autor habe ich danach wieder aus den Augen verloren. Nun, das lässt sich ja ändern.

Das britische Online-Magazin Fantasy Faction fährt fort, sich dem Thema „Gender and Stereotyping in Fantasy“ zu widmen. Schon der erste Artikel der Reihe kam im Großen und Ganzen angenehm differenziert daher und hat es geschafft, den Topos der „strong woman“ nicht auf die schwertschwingende Quoten-Amazonen oder die selbstbewusste Romantikerin herunterzubrechen. „Switching Roles“, der zweite und wiederum von Leo Elijah Cristea geschriebene Artikel, stellt ebenfalls einen wertvollen Beitrag zum Thema dar.

Wer sich die Meinungen anderer zur Phantastik lieber anhört, als über sie zu lesen, dem sei in diesem Monat ein Beitrag aus der Literatur-Podcastreihe „Outside of a dog“ empfohlen. Hier redet Oliver Plaschka gemeinsam mit den beiden Projekt-Köpfen Jonas und Christian über William Gibsons „Neuromancer“.

William_Gibson_by_FredArmitage
William Gibson (von Fred Armitage, CC BY-SA 2.0)

Übersetzer Markus Mäurer hat derweil vorübergehend das Fokus-Medium gewechselt und sich vornehmlich phantastischen Filmen gewidmet. Grund dafür ist, dass er sage und schreibe 16 Filme auf dem Fantasy Filmfest (Ausgabe Berlin) angeschaut und in 16 Kurzkritiken (Teil 1 und Teil 2) vorgestellt hat.

Ansonsten mal wieder eine Anmerkung in eigener Sache:Wie der eine oder andere schon mitbekommen hat, bin ich keine Mitarbeitern des Geisterspiegels mehr. Derzeit klappt meine GS-Mailadresse noch, aber ich weiß nicht, ob das so bleibt, deshalb benutzt vorsichtshalber lieber die im Impressum angegebene, wenn ihr mich kontaktieren wollt.

Ein bisschen schade ist es schon. Ich war seit dem Frühjahr 2011 dabei und hatte meistens viel Spaß mit den Reportagen, Interviews und Rezensionen, die ich für den Geisterspiegel verfasst habe. Meine Artikelreihe zur Internationalen Fantasy hätte ich ohne ihn wahrscheinlich ebenso wenig verfasst wie einige der Interviews. Trotzdem, es war an der Zeit, das Feld zu verlassen. Erstens, weil ich neben meinem Volontariat, meinem Autoren-Dasein und diversen Szene-Projekten wie diesem hier einfach nicht mehr so viel Zeit für das Online-Magazin aufbringen konnte und wollte. Zweitens aber auch, weil ich es satt habe, ein Projekt zu verteidigen, das erneut – wenn auch dieses Mal „nur“ via Verlinkung im Social Media-Bereich – einem Autor die (Möglichkeit einer) Plattform gibt, dessen politische und soziale Ansichten mir zutiefst zuwider sind.

Edit: Ich wurde gerade noch auf einen kurzen Podcast von Christian von Aster hingewiesen, der hier nicht fehlen soll. „Die Gentrifizierung des Wunderlands“ ist nach eigener Info „eine persönliche abrechnung mit einigen entwicklungen in den wunderlichen weiten der phantastik“. Unbedingte Anhör-Empfehlung!