Metal und Phantastik
Metal bzw. Rock und Fantasy (oder generell Phantastik) sind traditionell eng miteinander verwoben. Bands wie Amon Amarth und Gorgoroth haben sich nach Mittelerde-Begriffen benannt, Battlelore widmen sich sowieso fast immer Tolkiens Werken, während sich Rage mit ihrem Album Soundchaser am Cthulhu-Mythos und Royal Hunt mit The Mission an den Mars-Chroniken Bradburys orientieren. Wolfgang Hohlbein tourt mit Manowar, zu Subway to Sally gibt es wiederum Mangas und welche Themen Elvenking behandeln, dürfte auf der Hand liegen. Inzwischen wird Fantasy Metal sogar schon als (nicht unumstrittene) Genrebezeichnung verwendet und dass Metal-Shirts auf Cons gänige Praxis sind, dürfte auch wenig überraschen.
Auch für mich persönlich war beides immer eng verwoben. Uriah Heeps Demons and Wizards hat mich begleitet, bevor ich wusste, was Fantasy-Literatur ist. Meine Teenie-Metalhead-Zeit wiederum verdanke ich neben einem Judas Priest-Song dem Drachenlanze-Fandom, mit dem ich so ab 2003 recht viel Zeit verbracht habe. Da kaum ein Werk Tolkiens und auch wenige Drachenlanze-Romane von Blind Guardian verschont blieben, kam man dort mit der Band unweigerlich in Kontakt. Selbiges galt für die Symphonic Metaler Nightwish, die sich in Wishmaster diversen Figuren der Drachenlanze-Saga widmeten. Meine Metal-Hoch-Zeit liegt längst hinter mir, aber einige meiner aktuellen Lieblingsbands wie Wintersun, Within Temptation oder eben Nightwish widmen sich noch immer häufig und gerne der Phantastik (und ja, offenbar stehe ich auf Kitsch Metal ;)). Beispielsweise haben Within Temptation auch Lieder zu The Chronicles of Spellborn beigesteuert und Nightwish bekamen mit Imaginaerum gleich ihren eigenen Fantasyfilm.
Der US-Journalist Ed Grabianowski hat dieser Verbindung von Metal/Rock und Phantastik 2013 einen informativen Artikel spendiert, in dem er verschiedene Musiker zu Wort kommen lässt und zwei Leitthesen aufstellt.
Theatralik, Paganismus und Gender Identity
Grabianowskis erste These betrifft „the theatricality of stage performance”. Demnach eignen sich Phantastik-Elemente einfach gut als Show. Sie bilden eine passende Atmosphäre. Ein Punkt, der für einige Bands sicher eine Rolle spielt – man denke etwa an Lordi, die ohne ihre Monsterkostüme wohl nur halb so bekannt geworden wären oder an Black Widow, die Wicca-Ritualelemente für ihre Bühnenshows nutzten. Allerdings halte ich das nicht für den Kern der Sache. Wichtiger erscheinen mir zwei Aspekte, die Grabianowski nur am Rande anspricht: Paganismus und Gender Identity.
Das Interesse an mythologischen Themen sehe ich gewissermaßen als Grundgemeinsamkeit (nicht nur) zwischen Metalern und Phantasten. Wer sich ernsthaft mit phantastischer Literatur beschäftigt, kommt eigentlich nicht um die Beschäftigung mit Mythologie herum. Viele Anspielungen sind sonst kaum verständlich und überhaupt steht insbesondere die Fantasy in klarer Tradition zu Mythemen und mythologischer Erzählstruktur. Im Metal ist vor allem Ersteres ähnlich. Beim Pagan Metal ist es am auffälligsten, aber auch in allen anderen Subgenres und von so unterschiedlichen Bands wie Led Zeppelin und Godsmack finden sich mal mehr, mal weniger ins Ohr springende Anspielungen. Sowohl im Metal als auch unter den (literaturorientierten) Phantasten steht hinter der Beschäftigung mit Mythologien aber nicht nur das bloße Interesse an diesen oder der Anspruch, sich mit den Hintergründen zu (Song-)Texten zu befassen. Mitunter spielt auch eine gewisse Spiritualität eine Rolle. So findet sich eine Reihe von Musikern im Metal, die sich zum Neopaganismus bekennen. Manchmal lässt sich nicht so recht sagen, ob dahinter ein Marketingplan, eine Ästhetikfrage oder wirklich religiöser bzw. spiritueller Glaube steht. Grabianowski selbst nennt als Beispiel für Letzteres aber beispielsweise Jill Janus von Huntress.
Als der Religionswissenschaftler Oliver Krüger in einem Interview über die Verbindung (neopaganer) Religionen und der Fantasy sprach, erntete er in der Szene einiges an Kritik. Ich vermute allerdings, dass viele Kritiker sich zu sehr auf die unglücklich gewählte Überschrift fokussiert haben („Ist Fantasy eine neue Ersatz-Religion?“). Denn natürlich behauptet Krüger nicht, der durchschnittliche Fantasy-Leser oder -Spieler betrachte diese Inhalte unter religiösen Aspekten. Vielmehr hat er darauf aufmerksam gemacht, wie beispielsweise die Inhalte von Phantastik-Serien Einfluss auf die Wicca-Religion genommen haben. Auch Krügers Verweis auf die Bedeutung von Marion Zimmer Bradleys Die Nebel von Avalon ist einleuchtend – wer einmal ein wenig Zeit im Umfeld neokeltischer Subkulturen oder Religionsgemeinschaften verbringt, wird schnell auf dieses Buch stoßen.
Mit Die Nebel von Avalon oder auch ähnlichen Romanen wie Flamme und Harfe von Ruth Nestvold ist man auch nicht allzu weit entfernt von Fragen der Gender Identity. Grabianowski meint, es sei sicher interessant zu diskutieren, inwiefern Gender Identity und Horror- oder Fantasy-Stereotype zusammenpassen (korrigiert mich, wenn ich das inhaltlich falsch übersetzt haben sollte). Ja, das wäre sicher interessant. Ins Detail möchte ich hier allerdings auch nicht gehen, da ich mich mit dem Thema nicht tiefergehend beschäftigt habe und selbst nur herumspekulieren kann. Trotzdem möchte ich einige Parallelen ansprechen:
Sowohl Metal-Cover als auch die Buchcover phantastischer Literatur hatten bis in die 90er (und teilweise heute noch) einen Hang zu einer körperbetonten, maskulinen Ästhetik, der man getrost einen Hang zum Sexismus vorwerfen kann. Das Paradebeispiel in Sachen Metal sind hierfür Manowar, deren Plattencovern man anmerkt, dass hier mit Ken Kelly ein Schüler des Conan-Illustrators Frank Frazetta am Werk war. Oft zeigten diese Illustrationen durchaus, was man auf dem Album erwarten kann – wiederum sind Manowar hierfür das beste Beispiel. Da ist es vielleicht nur logisch, dass Frauen sowohl in der frühen Metal-, als auch der Phantastikszene zunächst unterrepräsentiert waren (obwohl es beispielsweise mit den von Grabianowski angeführten Butcher Babies auch frauendominierte Bands gibt, die sich dieser Ästhetik heute noch bedienen). Inzwischen hat sich das in beiden Fällen etwas gebessert; besonders die Fantasy-Literatur hat mehr weibliche Anhänger gewonnen, die vor allem auch im Fandom aktiv sind. Theorien, woran das liegen könnte, gibt es viele. Fürs Rollenspiel werden oft die Entstehung der Erzählspiele oder auch der Einfluss von Vampire: The Masquerade und damit verbunden der Gothic-Szene als Grund herangezogen. Für die Phantasten könnten auch der Zuwachs an oft weiblichen Buchbloggern oder der Siegeszug der Romantasy eine Rolle spielen (irgendwie paradox, dass ausgerechnet ein von Twilight ausgelöster Boom zu einem gewissen Genderausgleich geführt haben könnte). Lange vor der Romantasy der 2000er war aber ein anderer literarischer Fantasytrend zu verzeichnen: Marion Zimmer Bradleys Die Nebel von Avalon führte den Feminismus in die Fantasy ein und beeinflussten damit eine Reihe weiterer Autorinnen und deren LeserInnen. Im Metal hat das vereinzelt auch in den sonst eher maskulin orientierten Pagan Metal-Bands seine Spuren hinterlassen. Trotzdem sind vor allem Bands mit mehreren weiblichen Musikern noch eine Seltenheit.
Eskapismus und Katharsis
Grabianowskis zweite Theorie betrifft – oh Wunder – das Thema des Eskapismus. Er erkennt zwar an, dass Eskapismus und Katharsis “important elements of all forms of entertainment” sind, aber sie gelten ihm zufolge doch im Besonderen für die Phantastik. Im Konzeptalbum-Leitfaden der Babyblauen Seiten (für Prog-Reviews) taucht das ähnlich auf. Beide – sowohl Grabianowski als auch der Babyblaue Redakteur – machen mit dem darauf folgenden aber eigentlich klar, dass sie nicht von unserem gern in die Tonne getretenen Feuilleton-Eskapismus sprechen. Wenn Grabianowski den Shepherd der Butcher Babies erklären lasst, dass sich zwei Songs auf … sagen wir metaphorische Weise zwei Serienkiller-Phänomenen widmen und vor allem, wenn die Babyblauen Seiten auf die Spannungen der (Post-)Moderne verweisen, die sich in Phantastik-orientierten Werken von Musikern wie Bo Hansson, Arjen Lucassen, Coheed and Cambria oder auch Kiss‘ Music from the Elder niederschlagen, wird deutlich, dass hier eine andere Form des Eskapismus gemeint ist: Jene nämlich, die John Fiske als Repräsentation bezeichnet hat und die eben mehr eine Beschäftigung mit der Realität in Metaphern, denn eine Flucht darstellt. Was man von diesen Metaphern im Einzelnen hält, bleibt einem selbst überlassen. Als (eines der) Kernelement(e) sowohl der Phantastik als auch des Metals können sie aber gerne gesehen werden.
Mit diesen beiden Thesen Grabianowskis ist das Thema der Verwandtschaft zwischen Metal und Phantastik natürlich noch lange nicht erschöpft. In einem Kommentar zum Artikel wird beispielsweise noch auf die Bedeutung der Romantik und der Gothic Novel hingewiesen, und überhaupt ließe sich noch viel mehr zur Ästhetik sagen. Oder auch zu den politischen Einstellungen. Aber da aus einem Blogbeitrag jetzt schon ein (bei Word) dreiseitiger Artikel geworden ist, reicht’s erstmal. 😉
P.S. 1: Übrigens noch was zum Thema Platten-/Buchcover: Viele Illustratoren wie Luis Royo oder Larry Elmore waren/sind sowohl für Bands als auch Verlage tätig. Irgendwie ja auch nachliegend.
P.S. 2: Übrigens noch was zweites zum Thema Plattencover: Ich empfehle diese Galerie herrlich kitschig bis bescheuerter Plattencover.
[Text unter CC BY-ND 3.0 DE]
[…] Metal und Phantastik – Alessandra Reß in einem ausgezeichneten Beitrag über die Verflechtungen von Metalmusik und phantastischer Literatur. Insbesondere unter den Lesern von Fantasy und den Hörern von Metal gibt es ja große Schnittmengen. Viele Bands vertonen gerne ihre Vorliebe zur Fantasy. Das gab es auch schon vor dem Metal. Hawkwind z. B. brachten ein ganzes Bühnenprogramm und Konzeptalben, die die Elric-Saga von Michael Moorcock zum Motiv hatten, und der Autor selbst hat meines Wissen nach auch Texte für die Band geschrieben. Gerade habe ich George R. R. Martins Armageddon Rock gelesen, in dem es um die fiktive Band Nazgul geht, die sich an Motiven von Tolkiens Herr der Ringe orientiert. Mit Metal kann ich selber nicht viel mit anfangen, aber bei uns in der Studenten-WG liefen Bands Blind Guardian (Nightfall on Middle Earth) rauf und runter, so dass sie mir nicht unbekannt sind. Als Fan von Led Zeppelin sind mir deren Verweise an Tolkien natürlich nicht entgangen. Ein hochspannendes Thema. […]
Toller Artikel! Das Thema ist wirklich sehr interessant.
Dankeschön =)
Sehr spannend. Hab was gelernt.
Vor allem das „Vampire“ die Rollenspielszene so verändert haben soll, war mir überhaupt nicht bewusst. Tatsächlich sind die WoD-Systeme aber die einzigen, in die ich mich bis jetzt reinfinden konnte 🙂
[…] mehreren Artikeln ausgeführt, beispielsweise in der Film und Buch 10 oder in meinem Blogpost über Metal und Phantastik. Von Blind Guardian über Die Toten Hosen und Hawkwind bis hin zu Musicals wie Wicked oder Jekyll […]
[…] Buch“ ging es beispielsweise um Musik als Mittel, magische Faszinationen hervorzurufen, in diesem Blogbeitrag dagegen um die Verbindungen zwischen Metal- und Phantastikszene. Das Thema ist damit […]
[…] den Geschmack gekommen ist: Einen etwas ähnlichen Ansatz zu Metal und Fantasy hatte ich 2015 mal in diesem Beitrag verfolgt, damals außerdem in der Film & Buch einen Artikel zur Verbindung von Musik und Magie […]